Senoi Temiar in Kelantan

 

Die Senoi sind eine aus sechs Völkern bestehende ethnische Gruppe der Urbevölkerung Malaysias, der Halbinsel Malakka. Sie werden „Die träumenden Senoi“ genannt, weil ihre spezielle Art des Umgangs mit Träumen Niederschlag in der westlichen Psychotherapie gefunden hat. Zu den Senoi gehören die Temiar, Jahut, Cheq Wong, Mah Meri, Semai und Semoq Beri. Die Temiar leben, wie die anderen Senoivölker auch, als Naturvolk im Regenwald in Einklang mit ihrer Umwelt. Die Senoi machen laut Wikipedia mehr als 50 % der indigenen Bevölkerung Malaysias aus.

„Entdeckt“ wurden die Senoi in den frühen 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts als der Cambridge Anthropologe Herbert D. Noone, genannt Pat, in Taiping eintraf und und anfing, für das National Perak Museum zu arbeiten. Damals waren die Regenwälder Malaysias noch dicht und undurchdringlich und die Abholzung des Regenwaldes hatte noch nicht begonnen.

Ein spannendes Abenteuer begann, das selbst in der Geschichte der Anthropologie äußerst bemerkenswert ist.

Fasziniert vom Ruf der in den Bergen lebenden Temiar, der größten Subethnie der Senoi, unternahm Noone mehrere Expeditionen ins Hochland von Perak, um die Temiar zu finden. Nach mehreren Versuchen gelang der Kontakt zum Batin (Anführer, Headman) der Temiar der Region namens Along, der Noone die Möglichkeit eines längeren Aufenthaltes bei den Temiar gewährte. Vermittelt wurde dieses durch einen Puyang (Schamanen) der Semai, dem in seinen Träumen die Ankunft Noones vorher gesagt wurde und der darauf hin den Kontakt zu den tief in den Regenwäldern des Hochlandes lebenden Temiar herstellte.

Temiar Siedlung im Hochland von Perak. Bild: Arne Salisch

In seiner Funktion als Wissenschaftler des National Perak Museums in Taiping ließ Noone das Gebiet der Temiar zum Reservat erklären, um das Vordringen und den Landraub durch malayische Siedler zu verhindern. Noone hielt sich für längere Zeit in der Region auf und gewann das Vertrauen von Dato Bintang, der den Ruf eines mächtigen und furchtlosen Puyang hatte, der, politisch weitsichtig, auch bereit war, soziale Neuerungen anzuregen. Er sprach schnell die Sprache der Temiar, einen Mon Khmer Dialekt, und gewann das Vertrauen der Menschen

Dann verliebte sich Pat Noone in Anjang, die Nichte von Dato Bintang und heiratete sie, was seine Stellung in der Gemeinschaft festigte und ihm umfangreiche Forschungen ermöglichte. Fasziniert war er von der Friedfertigkeit der Menschen. Es gibt in ihrer Gesellschaft keinen Diebstahl, keine Gewalt unter Erwachsenen und keine Gewalt gegen Kinder. Blutige initiatorische Riten und Körperdeformationen sind ihnen ebenso unbekannt. Konflikte werden durch eine Art Jury geregelt, meist kommt es zu einem Ausgleich durch Zahlungen von Naturalien.

Noone führte diese Friedfertigkeit auf den Umgang der Senoi mit ihren Träumen zurück, wie er in einem Vortrag unter dem Titel „The Dream Psychology of the Senoi Shaman“ vor den anthropologischen Fakultäten der Universitäten Oxfords und Cambridges darlegte.

Nun kam der amerikanische Psychologe, Psychotherapeut und Hypnotisateur Kilton Stewart ins Spiel. Dieser war höchst interessiert an Träumen von Stammesvölkern und begleitete Noone zu den Temiar und einigen Negrito-Gruppen, um Studien durchzuführen. Stewart hatte zuvor bei verschiedenen Naturvölkern geforscht, den Ainus, den Kopfjägern auf Formosa und den Negritos auf den Philippinen. Er war überzeugt davon, die Antwort auf die Probleme der westlichen Zivilisation sei bei den Naturvölkern zu finden.

Im Jahr 1942 besetzten die Japaner Malaysia. Noone, der zuvor noch das erste Gesetz zum Schutz der Urbevölkerung Malaysias entwarf, das „Aboriginal Tribes enactment Perak No.3“, schloss sich der Guerilla an und dann verlor sich seine Spur.

Aufgrund des von ihm geschaffenen Gesetzes wurden alsbald in Perak die ersten Reservate gebildet, die der Urbevölkerung Malaysias Schutz vor Ausbeutung und Landraub boten. 1954 wurde dann der „Aboriginal Peoples Act“ erlassen, der den Orang Asli Schutz auf nationaler Ebene geben soll. Der APA bildet die Grundlage für die Kartierungen auf der Basis von Besiedlungsnachweisen, das den Menschen Recht auf ihr Land zumindest auf dem Papier zuspricht , wenn sie beweisen können, dass sie schon mindestens 150 Jahre dort leben.

Jahrelang wurde nach Noone gesucht. Gregory Bateson, einer der bekanntesten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, ein Anthropologe, Sozialwissenschaftler, Biologe, Kybernetiker und Philosoph, wollte sogar mit einem Fallschirm in der Wildnis abspringen, um nach seinem Freund Pat Noone zu suchen.

Viele Jahre später klärte sich das Schicksal Noones auf. Er wurde in einem Streit um seine Frau mit einem Pfeil erschossen. Einer der besten Freunde Noones, der Temiar Uda, der auf Noones Frau während dessen Abwesenheit aufpasste, erhob sexuelle Ansprüche. Rasend vor Wut und Eifersucht schoss er ihm mit einem Blasrohr ins Auge. Noone war sofort tot. Hier hatte die Gewaltlosigkeit anscheinend ihre Grenzen.

Kilton Stewart hingegen war in den USA aktiv und schuf durch seine Dissertation und andere Schriften den Mythos der „Träumenden Senoi“. Er behauptete, dass alle erwachsenen Senoi eine Art Traumkontrolle durchführte. Das ist jedoch falsch. Dass die Friedfertigkeit der Senoi auf ihren Umgang mit ihren Träumen zurück zu führen sei, mag durchaus sein. Es ist gut vorstellbar, dass durch die Bewusstmachung unbewusster Inhalte ein Aggressionsabbau stattfindet.

Grabmal der Jahut , Bild: Arne Salisch

Fakt ist jedenfalls, dass Träume im Leben der Senoi eine wichtige Rolle spielen. Mein Freund Jefri Yangman vom Volk der Jahut brachte mich 2016 zu einer Versammlung ins Dorf Kampung Sungai Kiol. Kg Sungai Kiol ist eines der 12 Dörfer der Jahut im Bundesstaat Pahang, zwischen Kuala Krau und Jerantut. Die Jahut sind eine Subethnie der Senoi. Die Versammlung wurde einberufen, weil viele Menschen die gleichen Träume hatten. Inhalt der Träume war, dass der Monsunregen in der kommenden Saison besonders stark werden würde und Überschwemmungen des Flusses Sungai Kiol hervorrufen würden. Es wurde aufgrund der Träume beratschlagt, wo die Dämme verstärkt werden und welche Häuser umgesetzt werden müssen.

Wasserfall des Sungai Kiol, Bild: Arne Salisch

In seinem Buch „Dream Theory in Malaysia“ berichtet Stewart , wie die Temiar den Verlauf der Träume ändern. Ein Kind, dass angstvoll aus einem Falltraum erwacht, wird von seinen Eltern angehalten, den Falltraum in einen Flugtraum zu ändern und somit seine Angst zu verlieren. Diese Praxis der Umschreibung von Träumen hat Eingang in die Psychotherapie gefunden. Wiederkehrende Albträume können mit einem guten Ausgang versehen werden und somit sinkt die psychische Belastung.

Im Esalen Institut bei Big Sur in Kalifornien wurde dann die Traumtechnik der Senoi ins Programm des Institutes aufgenommen. Das Esalen Institut hatte durch Therapeuten wie Fritz Perls und Pädagogen wie George Leonard großen Einfluss auf Gesellschaftsschichten, die sich mit moderner Psychotherapie und Bewusstseinserweiterung beschäftigten. Die Traumtechnik der Senoi passte ausgezeichnet in diesen Rahmen. Inwieweit nun den Senoi zugesprochene Methoden auch wirklich von diesen praktiziert wurden, bleibt fraglich. Später schrieben Patricia Garfield, die auch bei den Senoi war, und Ann Faraday einflussreiche Bücher, die die Traumtechnik der Senoi weiter verbreiteten.

RdN kooperiert seit 2014 mit den Senoi

Wir finanzieren und organisieren die Erstellung von Grundbesitzkarten für die Senoivölker und andere Ethnien der Orang Asli

 

Karte für die Jahut von Kampung Berdud, Bild: Jefri Yangman

Die Erstellung von Grundbesitzkarten ist überlebenswichtig für die Urvölker Malaysias. Bitte spenden Sie für die Erstellung weiterer Karten.

Quelle für die Fakten dieses Artikels ist ein Aufsatz von des Religionswissenschaftlers Peter Bräunlein, „Auf der Suche nach den träumenden Senoi“.

Literatur:

Wolff, Robert: Das Lächeln der Senoi. 2019

Jennings, Sue: Theatre, Ritual and Transformation. The Senoi Temiar. 1993

Garfield, Patricia: Kreatives Träumen. 1994

Roseman, Marina: Healing Sounds from the Rainforest.1993

Noone, Richard: In Search oft he Dream People. 1972

Domhoff, William G.: The Mystique of Dreams. 1990