Titelfoto: Innenansicht einer Hütte des letzten Isolado (Tanaru TI), in welcher sich ein Stock mit Harzfackel befand © Fiona Watson/Survival International

Am 30. August informierte das ARD-Studio Rio de Janeiro seine Leserschaft: „Das letzte Mitglied der Ethnie der Tanaru ist tot“[1].


[1] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/indigener-tot-amazonas-voelkermord-101.html

Rückblick: Im brasilianischen Bundesstaat Rondônia schrumpften ab den 1980ern die großen Regenwälder, geopfert einem durch die Weltbank und Brasiliens Regierung finanzierten Entwicklungsprojekt POLONOROESTE, welches allein in den 1980er Jahren jährlich 150.000 Siedler in die durch gewaltige Straßenbaumaßnahmen geschundene Naturlandschaft zog.

Das neue Straßen- und Wegebaunetz erschloss riesige Gebiete für die Großraumagrarwirtschaft der Rinder- und Sojabarone. Es hatte schließlich zudem fast 500.000 arme Brasilianer aus dem von Dürren heimgesuchten Nordosten angelockt, die ebenfalls in die Urwälder eindrangen und somit mithalfen, das diese niederbrannten.

Das Projekt wurde verkündet als „große nationale Integration, Wachstum der Produktion im Einklang mit der Erhaltung der Ökosysteme und der Gewährleistung des Schutzes der indigenen Gemeinschaften, der Erhöhung der Produktion in der Region und der Steigerung der verdienten Einnahmen der Bevölkerung, zur intra- und interregionalen Verringerung der Ungleichheiten“[1].

Es stießen ca. 1.500 Kilometer neue Fahrwege in den seit Urzeiten bestehenden jungfräulichen Dschungel in der abgelegenen Region von Rondônia, die an Bolivien grenzt, vor. Die Folge: eine der größten Katastro-phen für den Regenwald. 1982 betrug die Abholzungsrate für den Bundesstaat vier Prozent des Waldes, stieg dann 1985 auf elf Prozent. Die entwaldeten Gebiete nahmen in den Folgejahren stetig zu. Bis 1991 hatte sich die Zerstörung der Wälder Rondônias bis auf das zehnfache des ursprünglichen Wertes multipliziert.


[1] “Naturvölker“ 68: www.cnpm.embrapa.br/projects/machadinho_us/polono.html

Rondônia: Sojafeld Richtung Vilhena Foto: Braulio Gerhardt/ Wikimedia; gemeinfrei

Bis zum Jahr 2005 verzeichnete Brasilien neben den Indigenen Völkern in Erst-Kontaktierung auch die Anwesenheit von Völkern oder Teile der Indigenen Isolierten Völker, u. a. auch für Rondônia am Rio Tanaru: Isolados do Rio Tanaru[1].


[1] Alianza Internacional para la Protección de los Pueblos Indígenas Aislados: Declaracion de Belem sobre los Pueblos Indigenas Aislados, 11 de Noviembre de 2005

Rondônia: Intakter Wald: tiefgrün; gerodete Flächen: braun bzw. hellgrün (Agrarland); Fischgrätenmuster: Beginn der üblichen Entwaldungsbahnen im Amazonasgebiet.         Foto: NASA Earth Observatory, 2007/ Wikimedia; gemeinfrei; das Bild zeigt die Massivzerstörung des einstigen riesigen Regenwaldgebietes durch das Agrarentwicklungsprojekt POLONORESTE, das auch das Gebiet „Islados do Tanaru“ betrifft (In Mitten des roten Sterns)/ Kartografische Eintragung: Bernd Wegener

Der letzte Isolado: Was so nicht ersichtlich ist, dass sich hinter der obigen Nennung eine gewaltige Tragödie verbirgt. Die Isolados vom Rio Tanaru hatten bis zu dem Zeitpunkt bis auf einen einzigen Mann nicht überlebt.

Das Volk wurde ausgelöscht durch die brutale Besetzung der Region durch Kolonisten, die die Naturlandschaft zerstörten. Die Krankheiten des weißen Mannes, gegen die sie keine Immunität besaßen, rafften sie dahin. Oder sie fielen Mordanschlägen zum Opfer. Einiges davon wurde bekannt. Der erste Angriff fand um 1985 mit Gift statt. 1995 wurden Handfeuerwaffen gegen den Stamm eingesetzt.

Brasiliens FUNAI richtete schließlich dem letzten Überlebenden im geschundenen Resturwald ein etwa 80 km²-Reservat ein. Das war 2006.

Terra Indigena Tanaru/ Kartografische Eintragung: Bernd Wegener

Drei Jahre später folgte ein weiterer Anschlag auf den einsamen Mann im Wald, der mit Erdfallen und Pfeilschüssen vehement Kontakte von sich wies. Wieder kamen die weißen Verbrecher mit modernen Schusswaffen.

Am 23. August wurde nun der Mann, der wegen der Erdgruben in seinen Hütten auch als „Indian of the hole“ (Indianer aus dem Loch) bekannt war, von einem Überwachungstrupp tot in seiner Hütte entdeckt. Er lag in seiner Hängematte. Auf seinem Körper waren Papageienfedern – ein nicht unüblicher Ritus tropischer Tieflandvölker Südamerikas, wenn die eigenen Kräfte dem Tod entgegensiechen[1].

Es gab laut FUNAI keine Spuren von Gewalt, wie die einbezogene Bundespolizei und Gerichtsmediziner feststellten. Das Alter des Mannes schätzten die Experten auf etwa 60 Jahre[2].


[1] Tatort Paraguay: Im Zuge der Menschenjagden auf die Aché im vorigen Jahrhundert wurden die Eingefangenen in elende Reservate gepfercht, wo in der Folge viele Aché starben. Der Bericht „Die Verfolgung der Aché“ von Mark Münzel dazu enthält ein Foto, das tituliert ist mit „Warten aufs Jenseits“. Es zeigt einen gefangenen Aché-Mann, der Federn auf seinen Körper geklebt hat (Pogrom Nr. 49, GfbV, Göttingen 1977).

[2] https://www.gov.br/funai/pt-br/assuntos/noticias/2022-02/nota-de-pesar-indio-tanaru

26 Jahre lang hat der Mann allein gelebt. Er hatte niemanden mehr, mit dem er sprechen konnte – es sei denn, mit sich selbst oder mit eingefangenen Tieren (Affen, Papageien), die er eventuell als Hausgefährten hielt. Wir wissen auch nicht, ob er mit seinen toten Angehörigen oder den Geistern des Waldes kommunizierte bzw. nur ihm bekannte Gottheiten (Kulturheroen, d. Verf.) anrief, die für sein Volk als Bringer aller guten Lebensgüter fungieren. Wissen somit auch nicht, ob er über schamanistische Fähigkeiten verfügte, die ihn hätten den Zugang zur Welt der Ahnen und Geister ermöglicht.

Aber eines wissen wir, dass er wusste, dass ihn außerhalb seines Lebensraumes eine ihm feindlich gesinnten Welt umgibt, von der er nichts Gutes erwarten konnte. Zudem muss er über eine enorme physische und psychische Widerstandsfähigkeit verfügt haben, die ihn half diesen überaus langen Zeitraum allein zu meistern.


Fazit: Mit dem Tod des in freiwilliger Isolation lebenden letzten Mannes des Tanaru TI ist unsere Welt wieder ein Stück ärmer geworden. Verursacht durch die Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit unserer gierigen Zivilisationsgesellschaft. Genozid und Ethnozid bleiben leider allgegenwärtig. – Und der Raubbau in Brasilien geht ungebremst weiter, wie die Meldung des ARD-Studios vom 14.09.2022 zeigt: „Rekordbrände fressen Regenwald auf, verursacht von dutzenden neuen Siedlern in Apui, einer 25.000 Einwohner-Stadt im Süden des Bundesstaates Amazonas. Das Land dort ist noch billig, ganz anders als in Rondônia, wo sich die großen Rinder- und Sojafarmer ausgebreitet haben.“[1]


[1] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/brasilien-amazonas-brandrodung-101.html