Der Tod eines evangelikalen, fundamentalen US-Missionars auf der Insel North Sentinel hatte im November 2018 die dort in freiwilliger Isolation lebenden Indigenen in die internationale Medienwelt katapultiert. Nun kamen wieder `unkontaktierte` Ureinwohner in den Focus der Weltpresse.

Die FUNAI (Fundação Nacional do Índio) – Brasiliens Behörde für die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen mit Bezug zu indigenen Völkern – hat wiedermal den Erfolg einer `Friedensmission` der gelungenen Kontaktierung von `Isolados` den Medien übergeben. So berichtete die Frankfurter Allgemeine in ihrer Ausgabe vom 4. April:

KONTAKTIERT UND GEIMPFT: Expedition in Brasilien erreicht isoliertes Volk

 Die größte Expedition seit mehr als 20 Jahren zu einem bisher isoliert lebenden Stamm in Brasiliens Amazonasgebiet ist nach Behördenangaben bisher erfolgreich verlaufen. 34 Angehörige des Volkes Korubo seien im indigenen Schutzgebiet Vale do Javari im Staat Amazonas an der Grenze zu Peru kontaktiert und auch geimpft worden. Das teilte die für den Schutz indigener Völker zuständige staatliche Behörde Fundação Nacional do Índio (Funai) am Freitag mit. Ein Ziel der Expedition war gewesen, neue Konflikte zwischen den Korubo und dem ebenfalls in diesem Schutzgebiet lebenden Volk der Matis zu verhindern und die Indigenen zu schützen.

Zudem ging es darum, einige Mitglieder der Korubo, die während des Konflikts zwischen den beiden Gruppen mit mehreren Toten 2014 geflohen waren, wieder zu ihren Familien zurückzubringen. Auch dies sei gelungen, hieß es.

Die gut 30 Mann starke Expedition, darunter auch sechs Mitglieder der Korubo sowie mehrere Mitglieder dreier anderer Volksgruppen, war am 3. März in der Funai-Station am Fluss Ituí in Richtung des Zuflusses Coari gestartet.

Die Expedition war Anfang März gestartet, am 19. März seien die beiden ersten Indigenen ohne bisherigen Kontakt zur Außenwelt bei der Jagd angetroffen worden. „Das war ein sehr emotionales Erlebnis“, sagte Expeditionsleiter Pereira. „Es stellte sich heraus, dass die beiden Brüder eines Expeditionsmitglieds waren. Sie hatten sich seit 2015 nicht mehr gesehen und gedacht, der Bruder sei tot.“

Tatort ist das Indianerschutzgebiet „Areas Indigenas do vale do Javari“ im Westen des Bundesstaates Amazonas, unweit der Grenze zu Peru. Es ist eines der größten Indianerschutzgebiete des Landes und weisst eine Fläche über 85.0000 km² auf. Es ist Heimat verschiedener indigener Völker, wie den Kanamari , Kulina, Marubos , Matis, Matsés und Korubo sowie die Region mit der höchsten Dichte an isolierten indigenen Völkern der Welt. Dazu zählt auch der größere Teil der Korubo. Ungeachtet dessen leidet das Gebiet seit Jahrzehnten unter räuberischem Druck illegaler Holzfäller, Menschenhändler, Jäger und Fischer.

Immer wieder wurden Mitglieder des Stammes von den Invasoren getötet. Aber auch die Indigenen griffen die Eindringlinge an und töteten einige.

Es war nicht die erste Expedition der FUNAI zu den Korubo. Nach einer flüchtigen Begegnung in den 1970ern mit der Besichtigung eines Dorfes hatte sich 1996 eine Expedition unter Sydney Possuelo in das Gebiet im Hinterland des Rio Branco begeben, um die Korubo „zu befrieden“.

Die Korubo wurden mit geschätzten 200 Personen als das letzte größere `unkontaktierte` Volk Brasiliens angesehen. Mehrere in der Region lebende Stammeshäuptlinge anderer Ethnien lehnten strikt die FUNAI-Aktion ab. Dessen ungeachtet setzte man sich darüber hinweg und erreichte nach wochenlangen Warten Im Regenwaldcamp und dem Auslegen von Geschenken (u.a. Messer, die man auf Indianerpfaden präsentierte) im Oktober den Kontakt zu einer Splittergruppe von knapp 20 Personen. Ein Fernsehteam von National Geographic war zugegen und filmte den Erfolg. Alles, was man vorher an Verhaltensregeln festgelegt hatte (z.B. keine Kleidung übergeben), war im Moment des Kontaktes nichtig. Im August 1997 erschlug schließlich ein Stammesmitglied einen der FUNAI-Angehörigen.

Als die FUNAI) in den 1970er und 1980er Jahren „Erstkontakt“-Expeditionen durchführte, hatten sie spezialisierte Ärzte dabei. Einer der damals Hauptverantwortlichen, Sydney Possuelo, sagte: „Ich dachte es wäre möglich, ohne Schmerzen oder Tod Kontakt aufzunehmen. Ich organisierte eines der bestausgerüsteten Teams, das FUNAI jemals hatte. Ich habe alles vorbereitet … Ich habe ein System mit Ärzten und Krankenpflegern eingerichtet. Ich hatte Medikamente dabei gegen die normalerweise folgenden Epidemien. Ich hatte Fahrzeuge, einen Hubschrauber, Funkgeräte und erfahrenes Personal. ‘Ich werde keinen einzigen Indianer sterben lassen’, dachte ich. Und der Kontakt kam, die Krankheiten kamen, die Indianer starben.“

Sydney Possuelo war jahrelang auch Chef der Abteilung der FUNAI für in freiwilliger Isolation lebenden Indigenen. Aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Umgang mit diesen Völkern sagt er rückblickend:

„Unsere Gesellschaft ist für uns geschaffen, nicht für die Indianer. Der weiße Architekt baut keinen Lebensraum für die Indianer. Wenn man erstmal Kontakt aufnimmt, zerstört man ihr Universum.“

Schon deshalb kann man wohl kaum von erfolgreich sprechen, auch wenn es die FUNAI und ihre Expeditionsteilnehmer so verkünden. So etwas verkauft sich immer gut.

Die Mitnahme von bereits kontaktierten Korubo, um den Kontakt zu in freiwilliger Isolation lebenden Korubo zu erreichen, ist eine übliche und üble Praxis mit „Lockvögeln“. So ist auch in Paraguay in der Vergangenheit die New Tribes Mission wiederholt vorgegangen, um Angehörige der Ayoréo-Totobiegosode aus dem Urwald zu holen. Diese Menschen leiden deshalb seit Jahrzehnten unter Lungenkrankheiten, einschließlich Hospitalisierungen und Sterbefälle.

Selbst bei dem 2004 (durch äußeren Zwang aufgrund umfangreicher Waldrodungen) zustande gekommenen `freiwilligen` sehr „emotionalen Kontakt“, als isoliert lebende Totobiegosode ihre in der Zivilisation lebenden Verwandten begegneten, kam es trotz medizinischer Sofortbetreuung (incl. Errichtung Krankenstation) zu fatalen Infektionen und Todesfall. Zur Situation der heute in der kolonisierenden paraguayischen Gesellschaft lebenden Totobiegosode sagt der Ethnologe Benno Glauser: „Sie befinden sie sich oft auch noch nach Jahrzehnten in einem stark geschwächten Zustand und sind in jeder Beziehung ausserordentlich exponiert und verletzlich. Sie erkranken auffallend oft, auch noch nach Jahren, an Krankheiten, die es im Leben vor dem Kontakt nicht gab.“

Wie sollte es auch anders sein, denn gegen banale virale Infektionen der oberen Atemwege kann man ohnehin nicht impfen. Und diese Infektionen sind wegen der fehlenden Immunabwehr häufig tödlich für die „Isolados /Aislados“.

Hinzu kommt, dass gelungene Kontakte – wie der nun in Brasilien – zur Erosion der jeweiligen indigenen Kultur führen, und Invasoren den Zugriff erleichtern. Der Regierung des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro, wird das Recht sein, denn er will die wirtschaftliche Nutzung des Amazonasbeckens Ohnehin hat er der FUNAI die Zuständigkeit für die Demarkierung indigener Gebiete schon entzogen und an das Landwirtschaftsministerium übergeben. Wen wundert`s, denn die Agrarindustrie giert schon lange nach Profit und Rodungsflächen im Regenwald Amazoniens.

Allein im vorigen Jahrhundert starb jedes Jahr mindestens ein indigenes Volk in Brasilien aus. Und dieses Verbrechen setzt sich auch im 21. Jahrhundert fort, wie auch das dramatische Schicksal der Akuntsu zeigt, die 2010 von weißen Eindringlingen massakriert wurden. Meldungen zufolge überlebten nur sechs Personen. Inzwischen sind sie in ein kleines Stück Regenwald zwischen endlosen Viehweiden und Sojaplantagen eingepfercht. Sie sind so gut wie ausgerottet und werden In wenigen Jahren sich in die lange Liste der ausgelöschten Stämme Brasiliens einreihen … Für die Korubo ist dieser Prozess nun auch eingeläutet.

Deshalb: Hände weg von in freiwilliger Isolation lebenden Völkern. Staat und Gesellschaft haben ihre Menschenrechte, einschließlich des Rechtes auf Selbstbestimmung zu achten und die Pflicht, den effektiven Schutzes dieser Völker von außen zu gewährleisten!

Bernd Wegener