Von Arne Salisch

Tok Muda, einer der letzten großen großen Puyang (Schamanen) des Volkes der Jah Hut, verstarb am 6. November 2020 in seinem Heimatort Kampung Pian im Bundesstaat Pahang (Malaysia). Er soll ein Alter von 96 Jahren erreicht haben. Mit ihm ging eine Schatzkammer des Wissens um Magie, Mythologie, Medizin und Zusammenhänge in der Natur ins Jenseits. Er bewahrte die alten Rituale der Jah Hut, einem kleinen indigenen Volk im Regenwald Malaysias, und reiste in die Dörfer seines Volkes, um Heilungen, Segnungen und Schutz zu geben. Einen Teil seines Wissens gab er an seine Schüler weiter, so dass dieses erhalten werden konnte. Jedoch gefährdet die Abholzung des Regenwaldes in Malaysia die Kultur der Jahut und damit den Erhalt des gesammelten Wissens.

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Tok Muda

Ich traf Tok Muda wiederholt, als ich bei den Jah Hut im Regenwald Malaysias war. Einmal sah ich ihn durchs Dorf gehen und er schien zu sich selbst sprechen. Ich fragte Jef, meinen Begleiter und Kooperationspartner von RdN, was er denn dort mache. Jef sagte mir: „Er spricht mit den Unsichtbaren.“ Erstaunt erfuhr ich dann, dass die Jah Hut davon ausgehen, dass in einer Parallelwelt andere Menschen leben, mitten unter uns. Nicht nur die Puyang sind mit dieser speziellen Gabe gesegnet, es gibt hin und wieder auch einige andere Menschen, die Zugang in die Parallelwelt finden, und mit den dort existierenden Menschen kommunizieren. Eine Menge Regeln leiten sich aus dieser Vorstellung ab. So ist es u. a. problematisch, einfach in Dschungel zu urinieren, denn es könnten sich dort ja Unsichtbare befinden…

Ein anderes Mal nahm ich an einer Heilungszeremonie teil, die für einen kranken Freund und Aktivisten der Orang Asli , abgehalten wurde. Amed war schon mehrfach im Krankenhaus gewesen, aber die Schulmedizin fand den Grund der Erkrankung nicht. In der Hütte waren ca. 30 Personen versammelt. Tok Muda war mit drei seiner Schüler zugegen und sie behandelten den Kranken. Es wurden Gebete gesprochen, und sie versuchten, die Krankheit aus ihm heraus zu saugen, sprenkelten geheiligtes Wasser und verwendeten besondere Techniken, die ich auch bei Schamanen in anderen Ländern gesehen habe. Leider verstarb Amed noch in der Nacht. Es wurde dann vermutet, dass er vergiftet worden war, da auch seine Hütte vorher schon Opfer eines Brandanschlages war.

Am nächsten Tag wurde er auf einem kleinen Friedhof hinter dem Dorf begraben. Tok Janggut war auch hier anwesend, aber er leitete keine Zeremonie. Der Verstorbene wurde in weißes Tuch eingenäht und in der Erde bestattet. Peinlich genau wurde darauf geachtet, dass keine Blätter oder Zweige ins Grab fielen. Jede Verschmutzung würde eine Krankheit bedeuten, die der Verstorbene im nächsten Leben bekäme.

Das kleine Volk der Jah Hut bewahrt auch heute noch, trotz der fortschreitenden Zerstörung seines Lebensraumes durch den Anbau von Ölpalmen, einen großen Teil seiner Mythen, seiner Magie und Traditionen. Das ist auch dem großen Puyang Tok Janggut zu verdanken.