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Es war nicht das erste Mal, dass North Sentinel internationale Aufmerksamkeit fand. Am 15. Februar 1991 gelang es einer indischen Expedition, dass 15 Ureinwohner – die man mangels konkreterer Kenntnisse als „Sentinelesen“ bezeichnete – kurzzeitig an Bord des Schiffes kamen. Endlich konnte Indien stolz verkünden: „Das letzte feindselige Volk ist befriedet! Nach über 10.000 Jahren öffnet sich das mysteriöse Sammler- und Jägervolk mit ihrem prähistorischen Lebensstil der Welt.“

So die Pressemitteilung vom 21. Februar 1991 – ein mehr als fraglicher Erfolg der zivilisierten Welt! Die Zeiten der Pfeilhagel, welche die Sendboten der Zivilisation seit den 1970ern regelmäßig empfingen, waren gebrochen – so die Annahme der Staatsbehörden. Diese hatten nach über zwanzigjähriger Beharrlichkeit ihr Werk vollbracht und die „Sentinelesen“ mit Lebensmitteln, Spielzeug, Stoffe und Zivilisationshausrat aus Aluminium und Plastik gefügig gemacht. Güter, welche die Ureinwohner tausende von Jahren nicht benötigten und zukünftig auch nicht brauchten, hatten sie nun erreicht. Denn die Gegenstände, die das Urvolk benötigte, hatte es im Rahmen seiner Autarkie stets selbst hergestellt.

Zum Glück gab es für diese Menschen eine Änderung in der Politik mit Einstellung der „Befriedungsaktionen“ und Zutrittsverbot für Jedermann zur Insel.

Der verheerende Tsunami vom 26. Dezember 2004 katapultierte das Urvolk erneut in die internationale Presse. Nach der gewaltigen Todesflut ließen indische Behörden North Sentinel zur Kontrolle überfliegen. Dabei wurde der eingesetzte Hubschrauber mit Pfeilen vom Strand aus beschossen. Der niedrig über das Eiland fliegende Militärhubschrauber hatte eine TV-Crew an Bord. Das Bild des kraushaarigen Mannes, der seinen Lebensraum mit Pfeil und Bogen verteidigte, ging um die ganze Welt. Es erreichte Millionen von Menschen und gab einen flüchtigen Blick in eine verborgene Gesellschaft frei.

Nun gelangten die Ureinwohner von North Sentinel erneut in die internationalen Schlagzeilen der Medienwelt, so u.a. auch beim US-amerikanischeFernsehsender Cable News Network (CNN):

     North Sentinel tribe thought to have killed American John Allen Chau

Fakt ist, der US-Amerikaner Chau wurde auf North Sentinel von den Eingeborenen getötet. Das wurde von den örtlichen Behörden bekanntgegeben. Chau war Missionar und Abenteurer. Er hatte kein Recht das Eiland zu betreten. Die Insel und das umliegende Gewässer im Radius von drei Seemeilen (5,6 Kilometer) sind Sperrgebiet und dürfen nicht betreten werden. Schon 2006 sind dort zwei Fischer von den Indigenen getötet worden, die dort illegal fischten. Das Verbot soll einerseits die Indigenen schützen, andererseits auch Außenstehende vor Gefahren bewahren.

Chau hatte bereits vor einigen Jahren auf der abgelegenen Inselkette in der zum indischen Ozean gehörenden Andaman See besucht. Nun war er wiedergekommen, um seine Pläne, die er nach dem ersten Besuch entwickelte, umzusetzen. Mit Geschenken wollte er die Indigenen ködern, sich bei ihnen aufhalten, ihnen das Evangelium bringen und gegeben falls die Bibel in ihre Sprache übersetzen. Er wusste, dass die Insel Sperrgebiet war und seine Mission damit illegal war.

Mit Geld brachte er Fischer dazu, ihn zur Insel zu bringen. Diese hatten Chau am 16. November 2018 mit ihrem Boot in die Nähe der für Außenstehende verbotenen Insel gebracht. Die letzte Strecke über das Meer fuhr er mit einem Kanu, um das Ufer zu erreichen. Was dann passierte, dazu kursieren unterschiedliche Darstellungen.

CNN zufolge, kehrte er am selben Tag mit Pfeilverletzungen zurück, um am Folgetag wieder zur Insel zurückzukehren. Der Fischer sah später, dass die Ureinwohner den Körper des Eindringlings über den Sandstrand zogen.

Der Tagesspiegel schrieb: „Es habe Pfeile auf den Mann geregnet, sobald er die Insel betreten hatte, sagte der Behördenvertreter. Er wurde von Pfeilen attackiert, ging aber weiter. Die Fischer sahen, wie die Bewohner Seile um seinen Hals banden und ihn zogen. Vor Angst seien die Fischer geflohen, aber am nächsten Morgen seien sie zurückgekehrt und hätten die Leiche am Ufer gefunden. Laut indischen Medienberichten erzählten die Fischer in der Regionalhauptstadt Port Blair einem Priester von dem Vorfall. Die indische Polizei leitete nach eigenen Angaben Ermittlungen wegen Mordes gegen „unbekannte Stammesmitglieder“ ein. Weil auch indische Behördenvertreter die Insel nicht betreten, ist aber unklar, ob die Tötung rechtliche Konsequenzen hat. Sieben Fischer wurden verhaftet, weil sie den Amerikaner in die Nähe der Insel gebracht haben sollen.“

Die Bewohner der 62 km² großen Insel North Sentinel waren die letzten Andamanesen, die in vollkommener Abgeschlossenheit leben konnten. Wie viele Sentinelesen es gibt, ist nicht bekannt. Zwischen 30 und 60 Personen waren stets am Strand, als die behördlichen Annäherungsversuche stattfanden. Die „Sentinelesen“, die ihre Bezeichnung „Sentinel/Sentinelesen“ nach der Insel erhalten haben, werden nach anderen Bezeichnungen auch „Patan Jarawa“ genannt. Sie haben – wie die Jarawa – die Kolonialzeit besser als die anderen Gruppen überstanden. Während beide ihr Gebiet vehement mit Pfeil und Bogen verteidigten, haben die „Sentinelesen“ den zusätzlichen Vorteil, dass sie auf einer kleinen Insel vor South Andaman leben. Die dort oft stürmische See bewirkt einen natürlichen Schutz.

Die ersten Kontakte versuchten britische und indische Offiziere im 19. sowie Anfang des 20. Jahrhunderts. Nach dem Aufgeben des Widerstandes der Jarawa (1998) waren die Bewohner von North-Sentinel die einzigen Indigenen der Andamanen ohne Kontakt zur Außenwelt. Zumindest solange, bis auch sie durch jahrelanges Auslegen unsinniger Geschenke von Regierungsbeamten und Ethnologen zermürbt und neugierig gemacht worden waren. 1967 begann die Periode ernsthafter Anstrengungen, um die Barriere der Abwehrhaltung der Ureinwohner zu brechen. Zwischen 1974 und 1990 wurden zahlreiche Befriedungsversuche unternommen. In diesen Aktionen wurden Onge als Lockvögel benutzt. Ein derartiges Vorgehen ist eine üble Methode gegenüber Naturvölkern, die sich gegen Eindringlinge mit ihren Waffen wehren. Selbst Verwundungen durch getroffene Pfeile, welche die Indigenen zielsicher aus 80 m Entfernung vom Ufer aus abschossen, schreckten die Kontaktierer nicht ab.

Laut Survival International hätten die indischen Behörden Beschränkungen für Touristen vor einigen Monaten gelockert. Das jetzige Ereignis zeigt wiedermal, dass Indien nicht konsequent genug seine letzten „Isolados“ schützt, wie es eigentlich die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) fordert. Niemand hat zu in freiwilliger Isolation lebenden Völkern hinzugehen und sich in ihr Leben einzumischen, die für sich entschieden haben, den Kontakt zu der sie umgebenden äußeren, gefährlichen Welt abzulehnen. Das gilt auch für Missionare, denn der Missionsbefehl (Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker / Mt. 28,19) bedeutet kultureller Genozid. Jeder Kontakt führt unweigerlich zum Tod des Lebensmodels dieser Völker. Es zerplatzt ähnlich einer Seifenblase, ohne die Chance auf Rückkehr. Diese Völker werden damit unweigerlich zu Verlierern. Traurige Beispiele mit hohen Todesraten durch eingeschleppte Infektionskrankheiten über Lebensraumvernichtung und Landraub mit Kulturzerstörung bis hin zu Verelendung im Verbund mit Alkoholismus und Prostitution gibt es leider genug.

Bernd Wegener

https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/insel-im-indischen-ozean-ureinwohner-toeten-us-touristen-mit-pfeilen/23665142.html

https://edition.cnn.com/2018/11/22/asia/north-sentinel-island-worlds-isolated-tribes-intl/index.html

https://web.de/magazine/panorama/us-missionar-ureinwohnern-indischer-insel-getoetet-33429274

Wegener B., Keulig, S.: Schwarzasien – Ureinwohner zwischen Kulturvernichtung und Ausrottung, Herbolzheim 2007[:]